Kim Müller, die Grundversorgung im Südsudan ist in einem äusserst schlechten Zustand. Welche Bereiche sind besonders betroffen?
Müller: Schwer betroffen ist beispielsweise die medizinische Grundversorgung. Es gibt viel zu wenige Spitäler, zu wenig und oftmals schlecht ausgebildetes medizinisches Personal und es fehlen Medikamente. Ein weiteres Problem ist die fehlende Strasseninfrastruktur. Geteerte, ganzjährig befahrbare Strassen gibt es fast nur in der Hauptstadt Juba. Über die Hälfte der Überlandstrassen sind während der Regenzeit nicht befahrbar. Dies führt dazu, dass vor allem Menschen auf dem Land keinen Zugang zu Märkten, Spitälern oder Schulen haben. Auch die Wasserversorgung ist ungenügend: Aufgrund fehlender Infrastruktur muss Wasser meist kilometerweise von einem handgepumpten Brunnen nach Hause getragen werden. Frauen und Kinder sind für diese harte Arbeit zuständig und verbringen täglich mehrere Stunden damit.
Wie sieht es konkret in den Bereichen Elektrizität, Müllabfuhr, Bildung, Telekommunikation und postalische Grundversorgung aus?
Müller: Die Grundversorgung wird zuerst in den Städten aufgebaut, die ländlichen Gebiete sind benachteiligt. So haben die Hauptstadt Juba wie auch die Hauptorte der Gliedstaaten in einigen Quartieren eine Stromversorgung. Diese funktionieren jedoch meist nur für wenige Stunden pro Tag . Der weitaus grösste Teil des Südsudans muss ganz ohne Elektrizität auskommen. Ähnlich sieht es in anderen Bereichen der Grundversorgung aus. Das Stadtzentrum von Juba hat zwar eine Müllabfuhr. Sie ist aber unzuverlässig: Überall trifft man auf kleinere und grössere Abfallberge. Im Vergleich dazu ist das Mobilfunknetz im Südsudan erstaunlich gut ausgebaut. Postdienste, wie wir sie in der Schweiz kennen, gibt es im Südsudan noch nicht. Waren und Briefe werden meist privat, von Freunden und Bekannten, transportiert. Auch das Schulwesen befindet sich im Aufbau: Der Schulunterricht findet oft in Gruppen von sechzig oder mehr Kindern und Jugendlichen draussen unter einem Baum statt, teils bei Temperaturen von über 40 °C. Dennoch können sich diese Kinder glücklich schätzen. Mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen kann überhaupt keine Schule besuchen oder muss die Schule nach nur wenigen Jahren Realschule abbrechen, um ihre Familien bei der Haus- oder Feldarbeit zu unterstützen. So ist auch nicht erstaunlich, dass im Südsudan mehr als 80% der Menschen weder lesen noch schreiben können.
Was sind die konkreten Folgen der fehlenden Infrastruktur?
Müller: Während der Regenzeit sind ganze Dörfer und Städte von der Aussenwelt abgeschnitten. Dieselbe Jahreszeit ist jedoch auch geprägt von Krankheiten wie Typhus oder Malaria. Wenn dann die Erkrankten wegen Mangelernährung bereits geschwächt sind und keinen Zugang zu einem Arzt und zu lebensrettenden Medikamenten haben, können die Folgen tödlich sein.
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